Suizid durch Fast Food: Oscargewinner Brendan Fraser brilliert in „The Whale“ (2024)

Auf der Suche nach Vergebung

Suizid durch Fast Food: Oscargewinner Brendan Fraser brilliert in „The Whale“

Suizid durch Fast Food: Oscargewinner Brendan Fraser brilliert in „The Whale“ (1)

Will sich mit seiner Tochter versöhnen: Brendan Fraser als Charlie in einer Szene des Films „The Whale“.

Quelle: -/A24/dpa

Brendan Frasers Comeback: Im Kinokammerspiel „The Whale“ verwandelt er sich in einen 270 Kilogramm schweren Leidenden. Diese Rolle bescherte ihm den Oscar – auch weil er mit seinem Spiel die vielen Pfunde glatt vergessen macht.

Diesen Helden sollen wir in den nächsten knapp zwei Kinostunden begleiten? Schwitzend und im fleckigen T-Shirt sitzt Charlie auf dem Sofa – und wird dort auch beinahe die ganze Zeit über in seinem abgedunkelten Apartment hocken bleiben. Charlie (Brendan Fraser) kann gar nicht anders: Er wiegt 270 Kilo.

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Jede Bewegung kommt für ihn einer beinahe übermenschlichen Anstrengung gleich. Sein Atem rasselt, und sein Blutdruck liegt nach der jüngsten Messung seiner einzigen Freundin und Krankenschwester Liz (Hong Chau) bei 238:134.

Entgleitet Charlie das Telefon aus den feuchten Händen, ist er unfähig, sich danach zu bücken. Mit seinem Rollator schafft er gerade noch die Schritte bis zu seinem Bett, in das er sich nur dank des Haltegriffs an der Decke wuchten kann.

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Wenn der Literaturdozent Charlie mit seinen Studierenden Onlineseminare abhält, behauptet er stets, dass seine Kamera defekt sei. Er will ihnen sein Aussehen nicht zumuten. Das Adjektiv „widerlich“ fällt gleich mehrfach in Darren Aronofskys Kinodrama „The Whale“, um Charlies Erscheinung zu beschreiben.

Und doch fühlen wir bald schon mit diesem sanften menschlichen Koloss mit, der sich eine Speckschicht gegen seinen Lebensschmerz angefressen hat. Und um es gleich vorwegzunehmen: Mit dem titelgebenden Wal ist nicht Charlie gemeint, sondern Herman Melvilles „Moby Dick“.

Charlie weiß selbst, dass sein Körper nicht mehr lange durchhalten wird. Deshalb ist er auf der Suche nach Vergebung. Er hat Kontakt aufgenommen zu seiner Teenagertochter Ellie (Sadie Sink). Vor Jahren verließ er sie und deren Mutter Mary (Samantha Morton), um mit einem Studenten zusammenzuleben. Dann nahm das Schicksal eine tragische Wendung – und Charlie verlor die Kontrolle über seinen Körper.

Ein Bündel menschlicher Wut

Wenig später steht Ellie als ein Bündel menschlicher Wut vor ihm: Ob seine Zeit reicht, damit sie ihm verzeiht?

US-Regisseur Aronofsky ist bekannt für seine Vorliebe zum Exzessiven („The Wrestler“, „Black Swan“). Hier geht er konzentriert zu Werke, unterstützt von Drehbuchautor Samuel D. Hunter, der sein eigenes Theaterstück adaptiert hat. Charlies letzte Lebenswoche ist in Tageskapitel unterteilt, die Nähe zur Bühnenvorlage unübersehbar.

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Die Filmemacher sperren ihre Hauptfigur in das beengende 4:3-Bildformat und lassen sie damit noch raumfüllender auf der Leinwand erscheinen. Brendan Fraser dürfte vielen noch gut als das Muskelpaket aus den „Mumie“-Filmen in Erinnerung sein. Das hier ist sein Comeback nach harten privaten Jahren mit Scheidung, finanziellem Ruin, schmerzhaften Operationen und nach eigener Darstellung auch als Opfer sexueller Übergriffe.

Diese Rückkehr auf die Leinwand hat ihm jüngst den Oscar beschert: Dass Fraser einen Fat Suit trägt, ist nicht einmal zu erahnen, so natürlich bewegt er sich in dem „Fettanzug“. Seine Fressattacken sind erbarmungswürdig: Schokoriegel, Pizza, Chips, Hotdogs schlingt er in Momenten der Frustration in sich hinein. So etwas muss man wohl Suizid durch Fast Food nennen.

In den USA hat diese verblüffende Verwandlung nicht nur Beifall, sondern auch harte Attacken ausgelöst: In dem Land, in dem Body Shaming vor allem in den sozialen Netzwerken ein gängiger Begriff ist, war auch von „Fat Appropriation“ die Rede. Handelt es sich bei „The Whale“ um einen Fall von Anmaßung, einen Durchschnittsamerikaner in ein Schwergewicht zu verwandeln? Werden Adipöse durch diese gewissermaßen verzerrte Darstellung ausgegrenzt?

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Charlies Statur gerät im Laufe des Films mehr und mehr in den Hintergrund. Hier geht es um tiefe Emotionen – und um Charlies Ehrlichkeit den anderen und auch sich selbst gegenüber. Es stellt sich die Frage: Zu wie viel Mitgefühl sind Menschen in der Lage, die sich einst gehasst haben? Liegt es in ihrer Natur, einander zu retten?

Charlie ist in der Darstellung durch Fraser ein durch und durch liebenswerter Charakter mit unfassbar großen, traurigen Augen, seine Ex-Frau Mary (Samantha Morton) eine Zynikerin. Auch von ihr hat das Leben seinen Preis gefordert – und auch in ihr schlummern schmerzhafte Erinnerungen an gemeinsame Jahre. Sadie Sink als Tochter ist in ihrer tief verletzten Anklage ein ebenbürtiger Gegenpart zu Frasers Betteln um Nähe.

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Der religiöse Aspekt am Ende eines Lebens kommt hier auch noch ins Spiel – zumal ein junger evangelikaler Missionar in Charlies Apartment stolpert. Regisseur Aronofskiy versteigt sich zu einer seltsam religiös anmutenden Erlösungsszene in weißem Gegenlicht. In diesem einen Moment hat er sich bei seinem bewegenden Kammerspiel „The Whale“ verhoben.

„The Whale“, Regie: Darren Aronofsky, mit Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau, Samantha Morton, 118 Minuten, FSK 6

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Author: Melvina Ondricka

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