Der zweite Kapitolputsch (2024)

Der 6. Januar – vor zwei Jahren und heute

Der zweite Kapitolputsch

Der zweite Kapitolputsch (1)

Der Drahtzieher der Ultrarechten: Matt Gaetz (Mitte) im Plenum.

Quelle: picture alliance / abaca

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Am 6. Januar 2021 versuchte ein teils bewaffneter Mob mit dem Sturm auf den Kongress die Bestäti­gung von Präsident Joe Biden zu verhindern. Zwei Jahre später sitzen die Aufrührer im Parla­ment und legen diesen systematisch lahm. Beim Kampf um den einflussreichen Sprecher­posten geht die Saat auf, die Donald Trump gesät hat.

Washington. Donald Trump hat nicht zu viel versprochen. Am 6. Januar werde es ein großes Ereignis in Washington geben, twitterte er: „Seid dabei! Es wird wild!“

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Seine fanatischen Anhänger verstanden den Aufruf. Tausende Randalierer stürmten, teils bewaffnet, das Kapitol, verletzten mehr als 100 Polizisten und trachteten hasserfüllt den versammelten Volksvertretern nach dem Leben. Das war 2021.

Die Saat des Ex-Präsidenten geht auf

Exakt zwei Jahre später sind die Spuren der Gewalt beseitigt. Doch die Saat der vom Ex‑Präsidenten verbreiteten Demokratieverachtung geht voll auf. Seit vier Tagen blockiert eine extreme Gruppe republikanischer Abgeordneter die Wahl des Sprechers des Repräsentantenhauses und damit die Arbeitsaufnahme des Kongresses. Sie nutzt die Abstimmung für ein politisches Schmierentheater und die Erpressung der überwältigenden Mehrheit. Absichtlich geben sie das Parlament und seine Regeln der Lächerlichkeit preis.

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2021 kam der Angriff auf den ehrwürdigen Kapitolbau von außen. An diesem 6. Januar 2023 haben sich die Putschisten unter der Kuppel eingenistet. Damals sollte die Zertifizierung der Präsidentschaft von Joe Biden verhindert werden. Heute geht es um die Blockade des gesamten parlamentarischen Prozesses.

15 Abstimmungsrunden und damit den längsten Wahlmarathon seit 1859 haben die Aufständler erzwungen und dem republikanischen Frontmann dabei in windigen Hinterzimmerdeals unzählige inhaltliche und personelle Zugeständnisse abgepresst. Am Ende hat der opportunistische Karrierist den unwürdigen Kuhhandel im Kapitol gewonnen: Den hölzernen Hammer als Insigne des „Speaker“-Amtes erhält er quasi aus der Hand von Rechtsextremen.

Republikaner McCarthy zum neuen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses gewählt
Der zweite Kapitolputsch (3)

Der Republikaner hat es nach tagelanger Quälerei auf den Chefposten im US-Repräsentantenhaus geschafft.

Quelle: dpa

Wer diese Einschätzung für übertrieben hält, sollte sich einige Akteure des republikanischen Aufstands einmal näher ansehen. Da wäre etwa Andy Biggs, der den Kapitolsturm von 2021 als Abgeordneter miterlebte und von der Polizei auf der Flucht vor dem entfesselten Mob in einen gesicherten Raum geführt wurde. Dort weigerte er sich mitten in der Corona-Pandemie, eine Maske anzulegen und steckte dadurch höchst­wahrschein­lich drei Kollegen an. Für den Putschversuch machte er die linke Antifa verantwortlich. Auch sein Kollege Paul Gosar, der gern gegen Migranten hetzt, sah unter dem Trump-Pöbel nur „friedliche Patrioten“. Gefährlich findet er hingegen Linke wie die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die er in einem üblen Trickfilmchen ermorden ließ.

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Hetzer und Verschwörungsideologen

Noch prominenter dürften Lauren Boebert und Matt Gaetz sein. Die wiedergeborene Christin und Anhängerin der Qanon-Verschwörungsideologie hat sich vor allem als fanatische Waffenlobbyistin einen Namen gemacht. Sie verglich den Kapitolsturm mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und postete interne Informa­tionen über Sicherheitsvorkehrungen, die dem Mob mutmaßlich beim Eindringen halfen. Gaetz dürfte in diesem ohnehin wilden Panoptikum die schillerndste Figur sein. Er lud einen Holocaustleugner zur „State of The Union“-Feier ins Kapitol, steht im Verdacht des Menschenhandels, hetzte nach dem Kapitolsturm gewalt­bereite Trump-Fans gegen seine moderate Kollegin Liz Cheney auf und nutzt seinen Widerstand gegen McCarthy gerade für eine Spendenaktion in eigener Sache.

Der überwiegende Teil der 20 Abweichler, die in der Partei die „Taliban 20″ genannt werden, verbreitet wie ihr Idol Donald Trump die Lüge von der gefälschten Wahl und stimmte vor zwei Jahren für die Nichtanerkennung der Stimmen für Joe Biden. Diesen Leuten geht es nicht um „konservative Werte“. Sie führen einen Kultur­kampf gegen das Establishment, wollen das System und seine Institutionen zerstören und Chaos verbreiten. In Deutschland würde man sie am rechten Rand der AfD finden. In den USA geben sie nun bei den Republi­kanern und damit der Mehrheit im Abgeordnetenhaus den Ton an.

Kevin McCarthy, der selbst alles andere als ein Linksliberaler ist und nach dem Putschversuch vor zwei Jahren eilig Donald Trump in dessen Florida-Domizil Mar-a-Lago die Aufwartung machte, ist den Ultrarechten in seiner Fraktion in den vergangenen Wochen gewaltig entgegengekommen. So erkaufte er sich durch die Zusage wichtiger Ausschussposten die Unterstützung der Rechtsextremen Marjorie Taylor Greene und des Ultra-Trumpisten Jim Jordan, die sich den „Taliban 20″ nicht anschlossen. Nun scheint er mit den Aufständlern weitere Zugeständnisse auszudealen, die letztlich darauf hinauslaufen, dass sie die wichtigsten Ausschüsse und damit die gesamte parlamentarische Arbeit kontrollieren und ihn durch Misstrauensvoten jederzeit abberufen können.

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In der Geiselhaft der Extremisten

Damit begibt sich der Möchtegern-Parlamentschef endgültig in die Geiselhaft der Extremisten. Dass er als Erstes die Metalldetektoren abbauen ließ, die die Mitnahme von Waffen in den Plenarsaal verhindern sollten, spricht Bände. Selbstverständlich hört man von ihm keine Verurteilung der Trump’schen Wahllüge oder des blutigen Putschversuches. Der künftige Vorsitzende des Repräsentantenhauses kann sich genauso weit bewegen, wie es die vier radikalsten Mitglieder der Republikanerfraktion erlauben, weil diese ihn angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse jederzeit stürzen können. Wie unter diesen Umständen ein Haushalt verabschiedet, die Schuldenobergrenze angehoben oder neue Ukraine-Hilfen bewilligt werden sollen, ist kaum vorstellbar. Selbst eine partielle Zusammenarbeit mit den Demokraten würde den Speaker wohl den Job kosten.

Der wilde Mob vom Januar 2021 wollte relativ planlos die Bestätigung von Joe Biden als Präsident verhindern. Die Aufrührer vom Januar 2023 legen ganz gezielt das Parlament als Ort der Debatte, der Kompromisssuche und der konstruktiv gestaltenden Politik lahm. Stattdessen werden sie den Kongress als Bühne für Verleumdungs­kampagnen nutzen. Und sie werden ohne eigene gesetzgeberische Ambitionen alles tun, die Arbeit des Präsidenten zu torpedieren.

Es wird also wild werden mit dieser Parlamentsmehrheit in den nächsten zwei Jahren. Zwar ist der bewaffnete Mob vor dem Kapitol verschwunden. Doch dass sich Trump persönlich in diesen Tagen – wenn auch wenig engagiert – gegen die ultrarechten Aufrührer und auf die Seite des Partei-Establishments stellt, lässt das Ausmaß des drohenden Chaos erahnen.

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